nach Franz Josef Land
20. Juli 2005
Nein, Golf kann man mit den „Teufelsgolfbällen“ auf der Champ Insel – die wir heute anlaufen – nicht spielen, aber dafür sind sie umso beeindruckender. „Golfbälle des Teufels“ werden die Geoden natürlich nur umgangssprachlich genannt. Die Geoden auf der Champ Insel haben eine fast perfekte Kugelform, deren Durchmesser von wenigen Zentimetern, bis zu über 2 Meter reicht.
Diese Steinkugeln sind nicht etwa durch Wind oder Wasser geformt worden, sondern sie haben sich durch natürliche, chemische Umlagerungen – zugrunde liegen organische Überreste (z.B. Tier-Kadaver) – gebildet. Da die Geoden weitaus härter sind als die umgebenden, schiefrigen Sedimente, wittern sie langsam frei. Bevor wir jedoch in die Erdgeschichte eintreten, gibt es erst einmal Frühstück. Anschließend wird die geplante Helikopter-Anlandung, trotz des auffrischendes Windes, durchgeführt.
Kurze Zeit später stehen wir vor den Kugeln und bewundern deren Gleichmäßigkeit. Champ Island ist überwiegend vergletschert. Am Rand der Gletscher fließt Schmelzwasser den Hang hinab und sorgt – aus arktischer Sicht gesehen – für üppige Vegetation. Das grüne und rote Moos steht im starken Kontrast zu den weißen Schneefeldern, aber auch Blühpflanzen – wie z.B. der arktische Steinbrech – lassen die Herzen der Fotografen höher schlagen. Nach zwei Stunden müssen wir unseren Ausflug in die Vergangenheit beenden und fliegen zurück zur „KAPITAN DRANITSYN“.
Am späteren Nachmittag steht eine Zodiac-Tour, entlang eines großen Gletscherabbruchs, auf dem Programm. Warm „eingepackt“ sitzen wir in den Schlauchbooten, und unser Bootsführer bringt uns sehr nah an das Eis heran. Mehrere Tafeleisberge haben sich vom Gletscher gelöst und schwimmen nun auf dem Meer. Besonders beeindruckend sind die imposanten Seiten- und Mittelmoränen, die durch schwarze Gesteinsansammlungen besonders ins Auge fallen. Seevögel führen knapp über dem Eis ihre Flugkünste vor, und hin und wieder taucht eine Robbe aus dem Eiswasser auf. Kurz vor dem Abendessen sind wir zurück an Bord. Doch heute geht es nicht in das gemütliche Restaurant – ein arktisches Grillfest auf der Back wird vorbereitet! Bei russischer Musik lassen wir uns gegrillte Fisch- und Fleischgerichte schmecken. Um sich bei den kühlen Temperaturen von 1 Grad zu erwärmen, fangen einige Passagiere – auch unser Expeditions-Leiter – zu tanzen an. Andere ziehen ein Gläschen Glühwein – bzw. Wodka – vor…
Der Wind hat Treibeis in die Bucht geschoben, und ab und zu scheint die Mitternachtssonne durch die Wolken. Die Spiegelungen zwischen den Treibeisfeldern lassen eine fast mystische Stimmung aufkommen, und viele greifen zu den Fotoapparaten. Noch ahnt aber keiner etwas von der wunderbaren Begegnung, die auf uns zukommt …
(14. Juli bis 25. Juli 2005)
21. Juli 2005
Die wunderbare Begegnung erreicht uns in den frühen Morgenstunden. Gegen 0.30 Uhr dringt eine leise – aber freudige – Stimme durch den Kabinenlautsprecher: „Liebe Passagiere, zwei Eisbären nähern sich dem Schiff. Falls Sie noch nicht schlafen und mögen, kommen Sie auf die Außendecks und lassen sich das Schauspiel nicht entgehen!“ Ich bin froh, dass ich noch nicht in der Koje liege, sondern noch meine täglichen Reisenotizen schreibe. Rasch schnappe ich mir eine Jacke, Fotoapparat und Fernglas – und ab geht´s …
Eine Eisbärmutter mit ihrem Jungen hält direkt auf die „KAPITAN DRANITSYN“ zu! Der Kleine trottet gemütlich hinter seiner Mutter her, und beide kommen sehr nahe zum Schiff. Unglaublich! Wir schauen die Bären an; die Bären schauen uns an. Die Eisbärmutter führt ihr Junges ca. 150 Meter vom Schiff weg und legt sich für eine Rast nieder. Der Kleine kuschelt dicht neben ihr. Nach ungefähr einer Stunde erheben sich beide und schlagen erneut unsere Richtung ein. Wieder kommen beide bis auf wenige Meter an die Bordwand heran und geben uns Gelegenheit für schöne Aufnahmen. Nach einer Weile scheint ihre Neugier befriedigt zu sein, und sie ziehen weiter ihrer eisigen Wege. Eine wirklich wunderbare Begegnung!
Noch während der Nacht müssen auch wir unsere Reise fortsetzen. Unser nächstes Ziel ist das markante Kap Tegetthoff an der Südostküste der Hall Insel. Doch zunächst holen wir ein paar Stunden Schlaf nach. Die Kompassnadel zeigt weiter nach Süden, und gegen 08.00 Uhr haben wir das Kap Tegetthoff erreicht. Das Kap verdankt seinen Namen dem Forschungsschiff Admiral Tegetthoff, mit dem Julius Payer und Carl Weyprecht am 13. Juni 1872 die österreichisch-ungarische Expedition unternahmen.
Nach dem Frühstück bringen uns die Helikopter an Land, und wir erkunden die historischen Hüttenreste der Wellmann-Expedition von 1898. Dann werden zwei Gruppen gebildet. Eine Gruppe widmet sich der arktischen Pflanzenwelt, die hier u.a. mit Steinbrech, Löffelkraut und dem arktischen Mohn vertreten ist. Ich schließe mich der anderen Gruppe an, die eine Wanderung unternimmt und dabei einen Bergkamm erklimmt. Dieser Kamm gehört zu einer Felsformation, die aussieht wie der dornige Rückenkamm eines Sauriers. Als es Zeit für den Rückflug wird, hat der Wind stark aufgefrischt und eine Stärke erlangt, bei der die Helikopter eigentlich nicht mehr eingesetzt werden können. Durch das fliegerische Können unserer Piloten gelangen wir jedoch unbeschadet an Bord zurück.
Nachmittags nimmt der Wind noch an Stärke zu und erreicht 5 bis 9 Beaufort. Eine geplante Anlandung auf der Wilczek Insel muss ersatzlos gestrichen werden. Stattdessen wird ein neuer Vortrag – über die Anpassung von Tieren und Pflanzen an die Arktis – vorbereitet, und der Kapitän steuert das Schiff in ruhigere Gewässer zwischen zwei Inseln. Aber auch die rauen Wetterverhältnisse haben ihren Reiz. Die uns umgebenden Gletscher werden von dramatischen Wolkenbildungen eingehüllt und bieten ebenfalls einmalige Foto-Motive.
Für den kommenden Tag ist unsere letzte Anlandung auf der Bell Insel geplant. Hoffentlich flaut der Wind ab und macht uns keinen Strich durch die Rechnung …