Mit dem Eisbrecher unterwegs
nach Franz Josef Land

22. Juli 2005
Die Nacht haben wir in einer ruhigen Bucht verbracht. Gegen 6.00 Uhr nimmt unser Schiff Kurs auf die Bell Insel. Der Wind ist bei Stärke 5 Beaufort noch recht frisch, und das Quecksilber zeigt 1 Grad Celsius an. Die Fahrt führt uns an türkisfarbenen Eisbergen vorbei, dann taucht der imposante Glockenberg der Bell Insel voruns auf. Zum vorlezten Mal steigen wir in die Helikopter, und unser letzter Landgang kann beginnen.

Vor der Strandlinie hält sich eine kleine Gruppe Walrosse auf. Hin und wieder erscheinen ihre massigen Köpfe an der Wasseroberfläche. Ich stehe mit meiner Kamera parat und hoffe auf ein paar Schnappschüsse, doch die großen Robben haben mit mir kein Einsehen. Ein weiterer Blickfang – neben dem glockenförmigen Berg – ist die wohl älteste Hütte des ganzen Archipels. Der Brite Leigh Smith ließ das Gebäude – „Camp Eira“ – 1881 errichten. Allerdings konnte seine Expedition die als Winterquartier gedachte Hütte nicht nutzen. Sein Schiff, die „EIRA“, geriet in schwere Eispressungen und sank vor der nahen Northbrook Insel. Die „EIRA“ – oder das, was von ihr übrig ist – ist auch Ziel des Taucherteams gewesen, das wir bei unserer Ankunft hier abgesetzt hatten. Im Tagesverlauf werden wir die Taucher und ihr Expeditionsboot wieder an Bord nehmen. Wie wir später erfahren, ist ihre Suche nach dem Wrack ohne Erfolg verlaufen.

Nun stehen wir am „Camp Eira“ und schauen uns die gut erhaltene Hütte an. Das Innere ist leer, nur Eisreste vom letzten Winter sind noch zu sehen. Obwohl die Insel fast eisfrei ist, finden wir in der Umgebung nur eine spärliche Vegetation vor. Wir lassen die arktische Atmosphäre einige Zeit auf uns wirken. Dann wird es Zeit, und wir versammeln uns am Helikopter-Abflugplatz. Der letzte Flug unserer Expedition bringt uns zurück an Bord der „KAPITAN DRANITSYN“.

Unser nächstes und letztes Ziel unseres FJL-Aufenthalts ist noch einmal der Rubini Rock. Die Fahrt wird durch einen weiteren Vortrag, der sich der Meeresforschung widmet, verkürzt. Während wir also Kurs auf den Vogelfelsen nehmen, fällt die Temperatur auf 0 Grad, und Schneefall setzt ein. Als wir schließlich gegen 23.00 Uhr den Rubini Rock erreichen, ist das Schiff mit einer weißen Schneeschicht bedeckt. Auch der Vogelfelsen ist eingeschneit und wirkt im faden Licht fast gespenstisch. Am Fuße der Klippen – der Kapitän manövriert wieder sehr nah heran – treiben viele Eisschollen im Wasser. Was für ein Unterschied gegenüber unserer Ankunft! Der frühe Wintereinbruch innerhalb weniger Tage zeigt uns, wie kurz der Sommer in der hohen Arktis ist. In wenigen Wochen wird wieder der feste Griff des Eises die Inselgruppe umklammern. Für uns wird es nun Zeit für die Rückreise, um endgültig Abschied von Franz Josef Land zu nehmen. Unser Kurs ist nun die Barents-See. Werden wir eine ruhige Überfahrt haben? Wir hoffen auf Neptuns Wohlwollen …

Reisetagebuch von Frank Blache
(14. Juli bis 25. Juli 2005)

23. bis 25. Juli 2005
Wir haben bereits in der Nacht unsere Rückreise in den Heimathafen der „KAPITAN DRANITSYN“ – Murmansk – angetreten, und Franz Josef Land endgültig hinter uns gelassen. Gegen Morgen haben wir bereits 79 Grad Nord erreicht, doch bis Murmansk liegen noch etwa 660 Seemeilen (1188 km) vor uns. Dass wir uns in der offenen See befinden, merkt man sofort: Ein kräftiger Wind aus Südwest treibt die Wellen an. Unser Schiff schaukelt entsprechend – ob es Neptun doch nicht gut mit uns meint? Wir können nur hoffen, dass der Wind nicht noch an Stärke zunimmt. Unbeirrt setzen wir unseren Kurs nach Süden fort.

Auch heute steht ein Vortrag auf dem Tagesprogramm. Thema ist die Entdeckung des Seeweges nach Osten über die Nordost-Passage. Nach dem Mittagessen zeigt sich der Meeresgott – zur Freude aller – doch noch gnädig. Die See beruhigt sich, und die Temperatur ist auf 3 Grad angestiegen. Von den Außendecks können Dreizehen- und Falkenraubmöwen beobachtet werden, die im Segelflug unser Schiff begleiten. Nach Walen halten wir heute jedoch vergeblich Ausschau.

Am nächsten Morgen hat der Wind fast vollständig an Kraft verloren, und die See zeigt sich beinahe spiegelglatt. Das wir die hohen nördlichen Breiten verlassen haben, zeigt auch die auf 6 Grad gekletterte Temperatur. Einige Passagiere haben das Glück und können einige Schweinswale beobachten. Zur weiteren Abwechslung steht heute für meine Gruppe die Maschinenraumführung auf dem Programm. Außerdem werden einige administrative Dinge, wie zum Beispiel die morgige Ausschiffung vor sich geht, besprochen. Am Abend gibt es ein Abschiedsessen zusammen mit dem Kapitän. Unsere letzte Nacht an Bord des Eisbrechers steht bevor.

Um 5.00 Uhr haben wir wieder die Kola-Mündung erreicht, und noch vor dem Frühstück sind wir wieder in Murmansk. Das Wetter ist ähnlich schön, wie bei unserer Abreise – die Sonne scheint und lässt das Quecksilber auf, für uns ungewohnte, 23 Grad ansteigen. Wir genießen noch einmal das reichhaltige Frühstück an Bord, dann wird es Zeit für die Ausschiffung. Zwei Busse stehen bereits parat und bringen uns, bevor es zum Flughafen geht, noch einmal nach Murmansk.

Als wir losfahren, lässt der Kapitän dreimal das durch Mark und Bein dringende Schiffshorn erklingen. Eine Gänsehaut läuft mir über den Rücken, und mit etwas Wehmut blicke ich zurück – zur „KAPITAN DRANITSYN“. In Murmansk machen wir noch einen kurzen Einkaufsbummel, dann bringen uns die Busse zum Flughafen. Nach dem Prozedere des Eincheckens und der Passkontrolle beginnt unser Rückflug nach Helsinki. Am nächsten Morgen werden die meisten Passagiere ihre Heimreise antreten. Ich werde noch ein paar Tage in der finnischen Hauptstadt bleiben, bevor auch für mich eine sehr eindrucksvolle Reise zu Ende geht …

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