Mit dem Eisbrecher unterwegs
nach Franz Josef Land

16. Juli 2005
Den heutigen Tag kann man auch als „Tag der Vorträge“ bezeichnen. Mit unserem Vorstoß nach Norden fällt die Temperatur weiter und liegt heute Morgen nur noch bei 4 Grad. Außerdem hängt Nebel über der Barents-See und lässt den Horizont nur noch erahnen. Bei diesem Wetter fällt der Weg in den Vortragsraum nicht schwer.

Der erste Vortrag führt uns in die Forschungsunternehmungen von Leigh-Smith und Frederik Jackson in den Jahren 1880 bis 1897 ein. Die historischen Stätten, wie die zum Beispiel von Leigh-Smith auf der Bell-Insel errichtete Hütte (Camp Eira), werden wir im Laufe der Expedition noch mit eigenen Augen sehen. Noch vor dem Mittagessen gibt es einen weiteren Vortrag, der uns vor Augen führt,was uns alles auf Franz Josef Land erwartet. Außerdem bekommen wir einige wichtige Verhaltensregeln erläutert, wie wir uns möglichst naturverträglich auf dem Archipel bewegen sollen. Zum Beispiel soll vermieden werden auf Blütenpflanzen oder Moose zu treten. Auf Franz Josef Land gibt es ca. 57 Blütenpflanzenarten und über 50 Moosarten. Beschädigte Pflanzen regenerieren sich unter den extrem arktischen Bedingungen – falls überhaupt – nur sehr, sehr langsam. Abschließend erhalten wir noch eine theoretische Einweisung für die Benutzung der Helikopter, von denen die „KAPITAN DRANITSYN“ zwei an Bord hat. Der dritte Vortrag am Nachmittag entführt uns schließlich in die arktische Vogelwelt. Dreizehenmöwen begleiten das Schiff schon seit einiger Zeit und haben sich als „blinde Passagiere“ bevorzugt auf den Masten und Rettungsbooten niedergelassen. Heute haben sich auch schon einige Krabbentaucher gezeigt und signalisieren uns die Nähe nach Franz Josef Land. Abends hat sich der Nebel verflüchtigt, und das Quecksilber zeigt jetzt nur noch 1-2 Grad an. In Erwartung das erste Eis zu entdecken begeben sich einige Passagiere – ich natürlich auch;o) – auf die Brücke. Eis sehen wir zwar noch nicht, aber Wale! Durch mein Fernglas kann ich drei Wale – vermutlich Finnwale – ausmachen. Leider tauchen die Tiere sehr schnell ab, und wir verlieren sie aus den Augen. Unser Kurs führt uns weiter nach Norden, und morgen früh werden wir den Archipel erreichen.

17. Juli 2005
Am heutigen Sonntag haben wir den 80. Breitengrad überschritten und die russische Inselgruppe erreicht. Vor uns liegt nun das Abenteuer: Franz Josef Land! Unser Abenteuer beginnt mit einer Kursänderung, denn die geplanten Anlandungen am Kap Flora und auf der Bell Insel lassen sich nicht durchführen. Am Kap Flora verhindert die starke Brandung den Einsatz der Zodiacs – die Helikopter können wegen der vielen umherfliegenden Seevögel nicht starten – und die Bell Insel ist in Nebel gehüllt.

Die Expeditionsleitung beschließt einen neuen Kurs in Richtung auf die Hooker Insel. Vorher wird jedoch ein Taucherboot samt Besatzung abgesetzt. Die Taucher wollen die Überreste des Schiffes „EIRA“ von Leigh-Smith aufspüren. Ob es ihnen gelingt, werden wir am Ende unserer Reise erfahren, wenn wir sie wieder an Bord nehmen werden.

Reisetagebuch von Frank Blache
(14. Juli bis 25. Juli 2005)

17. Juli 2005 (Fortsetzung)

Nach dem Frühstück haben wir die Hooker Insel erreicht. In der Tichaja Bucht manövriert der Kapitän das Schiff sehr nah an den dortigen Vogelfelsen. Der ca. 200 Meter hohe Rubini Rock beherbergt die wohl wichtigste Vogelkolonie des ganzen Archipels. Die Temperatur beträgt nur noch 1 Grad, doch das stört die 10.000 – 15.000 Dickschnabellummen, Dreizehenmöwen und Krabbentaucher überhaupt nicht. Und uns auch nicht! Zu überwältigend ist der Anblick auf die riesige Vogelkolonie. Die einmaligen Basaltformationen sind ein weiterer Blickfang.

In der Nähe des Rubini Rocks liegt die verlassene Polarstation Tichaja, die 1929 als Radio- und Wetterstation gegründet wurde. Vor 49 Jahren wurde die Station aufgegeben und ist nun unser nächstes Ziel. Die Anlandung ist mit den Helikoptern geplant, und wir können unsere theoretische Einweisung in die Praxis umsetzen. Alles klappt problemlos, und nach kurzem Flug haben wir Gelegenheit uns die verfallene Station anzusehen. Wohl keiner, der sich nicht vorzustellen versucht, wie die Menschen hier gelebt und gearbeitet haben. Immerhin wohnten hier bis zu 60 Männer und Frauen. Sogar drei Kinder erblickten hier das Licht der Welt.

Nach unserer Rückkehr zum Schiff setzen wir unsere Reise in nördliche Richtung fort. Bei 80° 58´ Nord taucht vor uns ein ausgedehntes Eisfeld auf. Wie viele, stehe ich vorne im Bug und beobachte, wie sich der 4,5 cm dicke Stahlrumpf durch das Eis schiebt. Das Eis stellt für die „KAPITAN DRANITSYN“ kein Hindernis dar, denn das Schiff kann eine Eisdicke von 1,5 m überwinden.

Am Abend gibt es ein weiteres Highlight – auf dem Eis entdecken wir den König der Arktis. Unser erster Eisbär auf Franz Josef Land! Der Bär hat eine Robbe erbeutet, und das umliegende Eis ist vom Blut des toten Beutetieres rot gefärbt. Elfenbein- und Eismöwen haben sich ebenfalls eingefunden und hoffen auf ihre Chance, ein Stückchen Robbenfleisch zu ergattern. Eine Szenerie wie bei einer Tier-Dokumentation im Fernsehgerät, doch ich bin live dabei!

Obwohl uns der Tag schon so viel geboten hat, wird nach dem Abendessen eine weitere Helikopter-Anlandung geplant. Gegen 21.00 Uhr haben wir das Kap Norvegia auf der Jackson Insel erreicht. Der Flug ist wieder kurz, und nun stehen wir vor den Überresten der Unterkunft, in der Nansen und Johansen 1895/96 überwintert haben. Die Bedingungen der Überwinterung waren hart, und jeder fragt sich wohl, wie man diesen arktischen Verhältnissen trotzen konnte. Mich lädt die arktische Szenerie zum Fotografieren ein – bunte Moosteppiche stehen im Kontrast zu bizarren Eisformationen, die sich im stillen Wasser spiegeln. Die Farbe des Eises ist mal blau, mal türkis und bietet wunderschöne Motive.

Es ist schon spät, als wir zum Schiff zurückfliegen, aber trotzdem schreibe ich noch meine täglichen Reisenotizen auf. Heute lautet mein letzter Satz: „Ein unglaublich erlebnisreicher Tag“!

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