Mit dem Eisbrecher unterwegs
nach Franz Josef Land

18. Juli 2005
Während der 16. Juli der „Tag der Vorträge“ war, ist heute der Tag des arktischen Nebels! Meine erste Eintragung in meinem Notizbuch lautet heute: „Nebel, Nebel, Nebel“!

Nachdem wir noch einige Treibeisfelder durchquert haben, hat uns der stetige Kurs in Richtung Norden, die Rudolf Insel erreichen lassen. Die Rudolf Insel ist nicht nur die nördlichste Insel des Archipels, sondern auch der gesamten russischen Arktis. Von hier aus sind es nur noch wenige hundert Kilometer bis zum Nordpol. In der Teplitz Bucht am Kap Säulen war für heute eine Anlandung geplant, doch die schlechten Sichtverhältnisse machen uns einen Strich durch die Rechnung. Aber so schnell gibt sich unser Expeditionsleiter nicht geschlagen und beschließt zusammen mit dem Kapitän, um die Rudolf Insel herumzufahren und das Kap Fligely anzulaufen. Dort wollen wir eine Fahrt mit den Zodiacs unternehmen. Als wir schließlich dort ankommen, sehen wir auch hier, nichts… – außer Nebel! An eine Ausfahrt mit den Schlauchbooten ist also nicht zu denken, und es wird ein neuer „Schlachtplan“ entworfen.

Wir haben heute mit 81° 53´ N den nördlichsten Punkt unserer Reise erreicht, und nun wechseln wir den Kurs. Es geht wieder nach Süden, nachdem wir, seit wir in Murmansk abgelegt haben, nur mit Kurs Nord gefahren sind. Der neue „Schlachtplan“ lautet: Zurück zur Jackson Insel. Die Fahrt wird mehrere Stunden in Anspruch nehmen, und so bereiten die Lektoren zwei Vorträge vor. Der erste beschäftigt sich mit dem aktuellen Thema „Klima und Klimaveränderung“, und der zweite führt uns in die geologische Vergangenheit der Arktis. Zwischendurch versuche ich von den Außendecks aus, die arktische Gegenwart – in Form von Eisbären, Walrossen oder Robben – zu entdecken, aber der Nebel scheint alles zu verschlucken.

Abends hat dann die „KAPITAN DRANITSYN“ die Jackson Insel erreicht, und in einer Bucht kommt es zu einer unerwarteten Begebenheit. Vor uns erhebt sich ein großer Tafeleisberg, wie er eigentlich typisch für die Antarktis ist, aus dem Wasser. Wir schätzen die Fläche auf ca. 250 x 120 Meter und die Abbruchkante mit einer Höhe von etwa 12 – 15 Meter über der Wasserlinie. Diese unerwartete Gelegenheit, auf dem Eisberg zu landen, soll natürlich genutzt werden. Rasch wird ein Erkundungsteam auf dem Eis abgesetzt, um zu prüfen, ob eine sichere Anlandung möglich ist. Zwar hat sich auch hier der Nebel noch nicht vollständig aufgelöst, doch als das O.K. vom Erkundungsteam gegeben wird, wird eine Gruppe nach der anderen auf dem Eisberg abgesetzt.

Es ist schon ein besonderes Gefühl, auf einem Eisberg „spazieren“ zu gehen! Es gibt dort Schmelzrinnen, und das Schmelzwasser hat sich kreisrunde „Bohrkerne“ ins Eis geschnitten. Zur „Feier des Tages“ brennt unser Expeditionsleiter eine rote Signalfackel ab. Jeder genießt den nächtlichen Ausflug – das Highlight des Tages! Unsere Position ist noch immer über 81° N, und der neue Kurs führt uns nun in das Zentrum des Archipels.

Reisetagebuch von Frank Blache
(14. Juli bis 25. Juli 2005)

19. Juli 2005
Es schneit! Während der Nacht hat unser Schiff den Kurs auf das Zentrum von Franz Josef Land fortgesetzt und heute früh die Appolonov-Stolchki Inseln erreicht. Diese kleinen Inseln werden oft von Walrossen aufgesucht, und nach dem Frühstück ist eine Fahrt mit den Zodiacs geplant, um die riesigen Tiere aus der Nähe zu beobachten. Die Temperatur liegt bei 3 Grad, und kurze Zeit später sitzen wir, warm eingemuckelt, in den motorisierten Schlauchbooten.

Zunächst geht die Fahrt an bizarren Eisbergen vorbei, die sich mal weiß und mal blau präsentieren. Dann, unverhofft, sehen wir sie: Walrosse auf einer Eisscholle! Wir können relativ nah an die Kolosse heranfahren und haben genügend Zeit, um wundervolle Beobachtungen zu machen. Natürlich hat auch jeder seinen Fotoapparat im Anschlag. Walrosse sind sehr imposante Tiere. Die Männchen werden bis zu 3,75 Meter lang und bringen dabei 1.500 Kilogramm auf die Waage. Weibchen erreichen 3,35 Meter und ein Gewicht von 800 kg.

Walrosse sind, nach den See-Elefanten, die größten Robben, die es auf unserer Erde gibt. Ihre Nahrung suchen sie am Meeresboden, den sie mit Hilfe der Borsten auf der Oberlippe absuchen. Nach diesem einmaligen Erlebnis nimmt unser Zodiac Kurs auf eine felsige Insel. Was wird uns wohl dort erwarten? Kann das Beobachten der Walrosse noch gesteigert werden?

Es kann! Am Ufer der Insel begrüßt uns ein Eisbär, indem er sich auf seine Hinterbeine stellt und zu uns herschaut. Was für ein Anblick! Der Bär mustert uns kurz und setzt dann gemütlich seinen Weg am Ufer fort. Mit dem Schlauchboot begleiten wir ihn ein Stückchen und wieder klicken die Auslöser der Fotoapparate. Nach unserer Rückkehr zum Schiff ist es Zeit für das Mittagessen, und es gibt nur ein Gesprächsthema: Walrosse und Eisbären!

Während wir uns das leckere Essen – arktische Luft macht hungrig – schmecken lassen, nimmt die „KAPITAN DRANITSYN“ Kurs auf Wilczek Land. Mit den Helikoptern ist dort eine Anlandung am Kap Heller geplant. 1898/99 sollten hier zwei Norweger als Depotwache der Wellman-Expedition überwintern. Nur einer überlebt die extremen Bedingungen des arktischen Winters; der andere verstirbt und wird später auf Wilczek-Land beerdigt.

Am späteren Nachmittag setzt uns der Helikopter am Kap Heller ab, und wir haben Gelegenheit uns die historischen Reste des Camps, sowie des Grabes, anzusehen. Zusammen mit ein paar anderen Passagieren bin ich auf einen Hügel gestiegen, um mir einen Gletscher auf der Rückseite der Insel anzuschauen. Von hier aus werden wir Zeugen einer weiteren unverhofften Begegnung. Im Wasser schwimmt ein Eisbär! Er ist offenkundig neugierig geworden und schwimmt nun in Richtung unseres Ufers. Als der König der Arktis schließlich an Land geht und sich in unsere Richtung bewegt, wird es spannend. Etwas muss unternommen werden. Der Expeditionsleiter wird verständigt und der veranlasst, dass der Bär mit Hilfe eines der Helikopter in weite Ferne vertrieben wird. Auch das Thema beim Abendessen ist gesichert…

Ein weiterer – sehr erlebnisreicher – Tag in der hohen Arktis neigt sich dem Ende zu.

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